Herbst ist die Hochsaison der (Marathon-)Läufer. Doch kurz vor dem großen Tag können auch letzte Zweifel aufkommen: Habe ich genug trainiert? Was bedeutet dieses kleine Ziehen im Bein? Bin ich mental wirklich bereit für die Herausforderung? Diese Gedanken sind normal und Teil des Prozesses. Willkommen in der letzten Phase deiner Vorbereitung, wo sich Vorfreude und Nervosität die Waage halten.
Die Kunst des richtigen Taperings
In den letzten zwei bis drei Wochen vor dem Marathon kommt die Kunst des richtigen Taperings ins Spiel. Tapering ist mehr als nur ‚weniger laufen‘ – es ist ein fein abgestimmter Prozess, bei dem sowohl Trainingsvolumen als auch -intensität reduziert werden, ohne gänzlich darauf zu verzichten. Du bist vielleicht versucht, noch einen langen Lauf (“Generalprobe”) einzubauen oder die Pace nochmal zu testen. Aber Vorsicht: In dieser Phase solltest du nicht mehr versuchen, Leistungssprünge zu machen, sondern deinen Fitnessstand zu konservieren.
Das Tapering dient dazu, deinen Körper zu regenerieren und gleichzeitig deinen mentalen Fokus zu schärfen. Tempoeinheiten mit reduzierter Intensität und kürzere lockere Dauerläufe reichen aus, um deinen Körper in Schwung zu halten. Das Ziel ist es, ‚race-ready‘ zu werden – einen Zustand, in dem du körperlich erholt und mental hoch motiviert bist. Wir definieren ‚race-ready‘ als den optimalen Punkt, an dem sich Erholung und Leistungsbereitschaft treffen. Du solltest eine gewisse Ungeduld verspüren, endlich an der Startlinie zu stehen, gepaart mit dem Vertrauen in deine Vorbereitung.
Kopfsache: Mentale Vorbereitung für den großen Tag
Marathonlaufen ist zu einem großen Teil Kopfsache. Du hast hart trainiert, aber kurz vor dem Start spielen die Gedanken verrückt. „Habe ich genug getan?“ „Was, wenn der Start schiefgeht?“ – Diese Unsicherheiten kennen selbst die Profis. Eliud Kipchoge, der Marathon-Weltrekordhalter, betont oft die Bedeutung der mentalen Stärke. Er nutzt Meditation und positive Affirmationen, um seine Gedanken zu kontrollieren und sein Selbstvertrauen zu stärken.
Mentale Härte bedeutet nicht, immer cool zu bleiben, sondern zu akzeptieren, dass auch Nervosität dazugehört. Die besten Läufer wissen: Visualisiere deinen Lauf, stelle dir die Schlüsselstellen vor, an denen du Gas gibst, und erkenne an, dass du vorbereitet bist.
Um deine Gedanken zu beruhigen und dein Selbstbewusstsein zu stärken, kannst du folgende Techniken anwenden:
- Atemtechniken: Tiefe, bewusste Atemzüge können helfen, den Geist zu beruhigen und den Fokus wiederzuerlangen.
- Positive Selbstgespräche: Erinnere dich an deine erfolgreichen Trainingsläufe und wiederhole bestärkende Mantras wie „Ich bin bereit“ oder „Ich bin stark“.
- Ablenkung: Höre Musik, lies ein Buch oder führe Gespräche, die dich von übermäßigem Grübeln abhalten.
Dein Kopf macht den Unterschied, und die Kunst ist, sich nicht von vermeintlichen Problemen runterziehen zu lassen. Vertraue auf deine Vorbereitung und erinnere dich daran, dass du all die harten Trainingseinheiten bereits gemeistert hast – das Rennen ist deine Belohnung dafür.
Die letzte Woche: Mach’s wie ein Profi, nicht wie ein Anfänger
In der letzten Woche vor dem Marathon ist gute Planung der Schlüssel zum Erfolg. Je besser du alles Planbare im Voraus regelst, desto mehr Sicherheit und Ruhe gewinnst du. Dies hilft, die Nervosität in Schach zu halten. Setze auf deine bewährte Routine und vermeide es, in dieser Phase etwas Neues auszuprobieren.
Das Carbo-Loading für einen Marathon beginnt idealerweise 1-2 Tage vor dem Rennen. Erhöhe deine Kohlenhydratzufuhr, reduziere Fette, vergiss aber die Proteine nicht. Wähle leicht verdauliche Mahlzeiten und trinke ausreichend. Achte auch auf eine gute Versorgung mit Salz und Magnesium für optimale Muskelfunktion. Plane dein Carbo-Loading-Menü frühzeitig, so dass du in den letzten Tagen, wenn die Nervosität steigt, einfach deinen Plan umsetzen kannst.
Gönn dir genug Schlaf, aber mach dir keine Sorgen, wenn die letzte Nacht vor dem Rennen unruhig ist. Profis betonen: ‚Es geht nicht um die eine perfekte letzte Nacht, sondern um den gesamten Schlaf der letzten Woche.‘ Die Devise lautet: Bleib entspannt, halte dich an deine Routine und bewahre deinen Fokus.
Phantomschmerzen vor dem Start? Umgang mit plötzlichen Beschwerden
Kurz vor dem Marathon nimmst du plötzlich jedes kleine Ziehen im Knie wahr, spürst ein Zwicken in der Wade oder eine Verspannung im Rücken – dies sind typische Phantomschmerzen vor dem großen Rennen. Diese Empfindungen haben oft mehr mit deiner gesteigerten Körperwahrnehmung und den Nerven zu tun als mit tatsächlichen Problemen.
In der Taperingphase, wenn du weniger trainierst, hast du mehr Zeit, in deinen Körper hineinzuhören. Gleichzeitig macht dich die Anspannung vor dem Wettkampf sensibler für jede kleine Empfindung, die du normalerweise ignorieren würdest. Diese erhöhte Aufmerksamkeit kann dazu führen, dass du Beschwerden wahrnimmst, die vorher nicht da waren oder die du übersehen hast.
Statt in Panik zu verfallen, vertraue auf deine sorgfältige Vorbereitung und die Regenerationsfähigkeit deines Körpers. Nimm diese Empfindungen wahr, aber dramatisiere sie nicht.
Allerdings gibt es Warnsignale, die du nicht ignorieren solltest:
- Anhaltende, scharfe Schmerzen, besonders in Gelenken oder Knochen
- Schwellungen oder sichtbare Entzündungen
- Schmerzen, die dich am normalen Gehen hindern
- Plötzliche, starke Einschränkungen der Beweglichkeit
Wenn eines dieser Symptome auftritt oder wenn du unsicher bist, ob eine Beschwerde ernst zu nehmen ist, zögere nicht, einen Arzt oder Physiotherapeuten zu konsultieren. Es ist besser, auf Nummer sicher zu gehen, als ein ernsthaftes Problem zu übersehen.
Erkältungen in der Rennwoche: Laufen oder nicht laufen?
Eine der größten Herausforderungen für Marathonläufer ist der Umgang mit einer aufkommenden Erkältung kurz vor dem Rennen. Hier einige Richtlinien, die dir bei der Entscheidungsfindung helfen können:
- Der ‚Neck Check‘: Symptome oberhalb des Halses (laufende Nase, Niesen, Kopfschmerzen) sind in der Regel weniger bedenklich als Symptome unterhalb des Halses (Husten, Brustschmerzen, Körperschmerzen).
- Fieber ist ein absolutes No-Go: Bei erhöhter Körpertemperatur solltest du auf keinen Fall an den Start gehen. Das Risiko für ernsthafte gesundheitliche Komplikationen ist zu hoch.
- Energielevel: Fühlst du dich nur leicht angeschlagen oder komplett erschöpft? Bei starker Müdigkeit und Schwäche ist es ratsam, das Rennen abzusagen.
- Trainingsausfall: Wenn die Erkältung dich mehrere Tage am Trainieren gehindert hat, solltest du deine Erwartungen anpassen oder das Rennen verschieben.
- Medizinischer Rat: Im Zweifelsfall konsultiere einen Arzt. Ein Profi kann deine Symptome besser einschätzen.
- Alternativen in Betracht ziehen: Viele Marathons bieten die Möglichkeit, auf eine kürzere Distanz zu wechseln oder das Startrecht auf das nächste Jahr zu übertragen.
Denk daran: Ein verpasster Marathon ist besser als eine langwierige Krankheit oder Verletzung. Deine Gesundheit hat oberste Priorität. Es gibt immer ein nächstes Rennen, aber du hast nur einen Körper. Treffe deine Entscheidung mit Bedacht und höre auf deinen Körper.
Fazit: Bereit für den großen Auftritt
Die letzten Wochen vor deinem Marathon sind eine Zeit der Feinabstimmung – körperlich und mental. Du hast monatelang trainiert, und jetzt geht es darum, diese harte Arbeit in ein erfolgreiches Rennen umzusetzen. Erinnere dich: Das richtige Tapering, mentale Vorbereitung, gute Planung und ein bewusster Umgang mit deinem Körper sind die Schlüssel zum Erfolg.
Vertraue auf deine Vorbereitung, aber bleibe flexibel genug, um auf unerwartete Herausforderungen zu reagieren. Ob Phantomschmerzen oder eine aufkommende Erkältung – du hast jetzt die Werkzeuge, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
Letztendlich ist der Marathon mehr als nur ein Rennen – er ist die Krönung deiner Reise. Genieße den Prozess, feiere deine Fortschritte und sei stolz auf das, was du erreicht hast.
Relevante Quellen und Links:
Wissenschaftliche Journals:
- „Medicine & Science in Sports & Exercise“
- „Journal of Applied Physiology“
- „International Journal of Sports Physiology and Performance“
Bücher von renommierten Laufexperten:
- „Advanced Marathoning“ von Pete Pfitzinger und Scott Douglas
- „Daniels‘ Running Formula“ von Jack Daniels
- „Marathon: The Ultimate Training Guide“ von Hal Higdon
Organisationen und Websites:
- American College of Sports Medicine (ACSM): https://www.acsm.org/
- Runner’s World Magazine (für praxisnahe Tipps und Erfahrungsberichte): https://www.runnersworld.de/lauftraining/fit-fuer-den-marathon/
Studie zum Tapering: Mujika, I., & Padilla, S. (2003). Scientific bases for precompetition tapering strategies. Medicine and science in sports and exercise, 35(7), 1182-1187. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12840640/
Mentale Vorbereitung: Weinberg, R. S., & Gould, D. (2018). Foundations of Sport and Exercise Psychology, 7E. Human Kinetics.
Ernährung vor dem Marathon: Burke, L. M., Hawley, J. A., Wong, S. H., & Jeukendrup, A. E. (2011). Carbohydrates for training and competition. Journal of sports sciences, 29(sup1), S17-S27. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21660838/